Regierungsrätin Cornelia Komposch im Interview

Nach etwas mehr als 100 Tagen im Amt wurde SP Regierungsrätin Cornelia Komposch im letzten September für die SP-Mitgliederzeitung «links» interviewt. Am kommenden Parteitag am Mittwoch, dem 28. Oktober wollen wir Cornelia Komposch für die Gesamterneuerungswahlen des Regierungsrats im Februar 2016 wieder nominieren. Der perfekte Zeitpunkt, um nochmal zu lesen, weshalb die Thurgauer Power-Frau in die Regierung gehört. Das Interview führte Parteisekretär Julian Fitze.

Liebe Cornelia. Du bist nun 100 Tage im Amt als Vorsteherin des Thurgauer Departements für Justiz und Sicherheit.  Wie lautet deine Zwischenbilanz?

Meine ersten Geschäfte drehten sich ums Budget. Der Entwurf dafür war schon gemacht und die Sparrunden wurden in den ersten Wochen nach meinem Amtsantritt eingeleitet. In der Diskussion mit meinem Mitarbeiterstab des Generalsekreariates habe ich geklärt, wo Sparpotential in unseren Ämtern vorhanden ist, ohne dass wir Leistungen abbauen müssen. Dieser Prozess hat mich gefordert, hat mir aber auch erlaubt, mich schnell ins operative Geschäft einzuarbeiten.

Das zweite grosse Thema ist die Legislaturplanung 2016-2019. Die Schwerpunkte „Wie will sich der Thurgau entwickeln“ waren bei meinem Amtsantritt schon festgelegt. Ich konnte kleinere Änderungen einbringen, die mir wichtig waren. Durch die ämterübergreifende Diskussion rund um die Hauptaufgaben der kommenden Jahre konnte ich meine Amtsleiter und deren Ämter schnell kennenlernen.

Ein aktuelles Thema liegt beim Migrationsamt. Die Betreuung der Flüchtlinge im Thurgau ist dem Departement für Finanzen und Soziales (DFS) unterstellt, doch auch wir werden über die neuesten Entwicklungen informiert und sind in die Thematik involviert. Unser Departement arbeitet eng mit dem DFS zusammen.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Schaffung des Amtes für Justizvollzug. Der Straf- und Massnahmenvollzug wird immer komplexer, auch durch die Initiativen, die in letzter Zeit an der Urne gutgeheissen wurden. In dem neuen Amt gehören das Massnahmenzentrum Kalchrain, die Gefängnisse und der Bewährungsdienst dazu. Es wird das zweitgrösste Amt in meinem Departement werden. Die Planung wurde von meinem Vorgänger Claudi Graf-Schelling aufgegleist, die Umsetzung liegt nun bei mir.

Du musstest dein Amt mit dem Rotstift antreten. Gab es Konflikte mit dem Personal oder wussten deine Leute, was auf sie zukommt?

Eher zweiteres.  Die Personen, die hier schon länger arbeiten, kennen natürlich die Prozesse und budgetieren nach den Vorgaben des Globalbudgets. Die kritischen Einwände galten weniger mir als dem Regierungsrat, der, nachdem das Budget schon im Vorjahr mit LÜP um 40 Millionen erleichtert worden war, nun neuen Sparvorgaben einleitete. Da war natürlich da und dort die Diskussion lanciert, ob der Regierungsrat nun nicht die Steuern erhöhen müsste. 

Meines Erachtens legt der Regierungsrat dem Grossen Rat unter gegebenen Umständen ein ausgeglichenes und vertretbares Budget vor. Dennoch müssen wir uns im Gremium über die weitere Finanzpolitik unterhalten. Die Zitrone ist irgendwann ausgepresst. Wenn die unbeeinflussbaren Kosten z.B. im Gesundheitsbereich und in der Spitalfinanzierung weiterhin ansteigen, können diese Mehrausgaben nicht über Sparrunden und Leistungsabbau ausgeglichen werden. Der Kanton Thurgau hat sich in verschiedenen Bereichen hervorgetan; im Bereich Energie, aber auch  bei Gesundheit und Bildung. Diese Vorreiterrolle gilt es zu verteidigen – denn wenn sie einmal verloren ist, wird es schwierig sein, den Rückschritt wieder aufzuholen.

Du bist in deinem Departement erst die zweite Sozialdemokratin und die erste Frau, die das Departement für Justiz und Sicherheit führt. Zudem hinterlässt dein Vorgänger Claudi Graf-Schelling als Kantonsreformer grosse Fussstapfen. Spürst du da gewisse Vorbehalte?

Claudi der als erster Sozialdemokrat im Thurgau Polizeivorsteher wurde, ist zu Beginn seiner Amtszeit auf Vorbehalte seitens des Korps gestossen. Weil er sich aber immer sehr für die Polizei interessierte und sich überzeugt für sie einsetzte, hat er sich grossen Respekt geholt. Ich betrachte es als Glück, ein Departement zu übernehmen, das Claudi in den letzten 15 Jahren in intensivster Arbeit so gut reorganisiert und aufgestellt hat. Jetzt bewährt sich, was er geleistet hat. Gleichzeitig gibt es noch ganz viele Handlungsfelder für mich, ohne die grossen Würfe wiederholen zu müssen, zum Beispiel die Überbelegung der Gefängnisse. 

In meinem Departement ist meine Partei ein untergeordnetes Thema. Dass ich eine Frau bin, da sind meine Leute genug offen, als dass das zu für mich spürbaren Vorbehalten geführt hätte. Aber natürlich schauen sie sehr genau hin und in den ersten 100 Tagen haben sie mich kritisch beaugapfelt – das wäre aber jeder und jedem so gegangen. Und das war auch vollkommen in Ordnung.

Was würdest du angehen, wenn du ein Freilos hättest für so einen grossen Wurf wie die Bezirksreorganisation von Claudi Graf-Schelling?

Im Departement würde ich mich um die Gefängnisse kümmern, da gibt es Handlungsbedarf. Auch die Gerichte möchte ich näher kennen lernen und gemäss meinem heutigen Wissensstand gäbe es im organisatorischen Bereich durchaus Handlungsfelder. Beim visionären Denken spielen aber leider immer die Finanzen eine wesentliche Rolle. Wir haben ein dünnes Budget und sind personell knapp bestückt. Im Personalbereich wäre es aus meiner Sicht angebracht, eine grosszügigere Haltung einzunehmen – nicht nur in meinem Departement.

Im Februar 2016, nicht einmal ein Jahr nach deiner ersten Wahl in den Regierungsrat, stehen wieder die Gesamterneuerungswahlen an. Bei deiner ersten Kandidatur hattest du keine Gegner, und du wurdest mit einem Glanzresultat von 88 Prozent aller Stimmen gewählt. Für eine Sozialdemokratin ist das ein fantastisches Resultat. Wie stellst du bei den Wahlen im Februar sicher, dass du wieder ein Glanzresultat machst oder überhaupt wiedergewählt wirst?

Zuerst einmal vertraue ich auf die Konkordanz – ich glaube dass die mehrheitlich bürgerliche Thurgauer Bevölkerung der Meinung ist, dass auch die SP einen Anspruch auf einen Sitz im Regierungsrat hat.
Die Sozialdemokraten haben jeweils am wenigsten Stimmen bei einer solchen Wahl im Thurgau. Es wird auch mindestens eine Gegenkandidatur geben, die Grünliberalen haben ihre Kandidatur  angekündigt, vielleicht folgt noch die BDP. Diese Kandidaturen muss man ernst nehmen, denn es stellen sich profilierte Politiker zur Wahl.
Ich werde zusammen mit der SP Thurgau mein Möglichstes tun, eine kleine Wahlkampagne zu fahren und mich auch auf der Strasse zu zeigen.
Hauptsächlich möchte ich mich aber darauf konzentrieren, in diesem knappen Jahr gute Arbeit zu leisten und mir selbst treu zu bleiben – unabhängig davon, ob Wahlen anstehen oder nicht.

In deinem Motivationsschreiben vor deiner Nominierung hast du geschrieben, dass du gerne die sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Grundwerte in die Regierung einbringen würdest. Werden diese nicht einfach überstimmt im bürgerlichen Regierungsrat?

Ich bin bekannt als moderate Sozialdemokratin. Hier in den Räumlichkeiten meines  Departementes, liegen mir die Grundwerte wie Offenheit und Transparenz am Herzen. Departementsintern geht es auch meistens um Sachpolitik, ähnlich wie in der Gemeinde.
Etwas anders verhält es sich im Regierungsgremium. Dort wird aufgrund der Themen und Fragestellungen oft auch parteipolitisch diskutiert und diesbezüglich sind die Mehrheiten klar. In diesen Diskussionen setze ich mich für unsere Werte ein und stelle bei mir einen Linksrutsch fest. Gerade in der Legislaturplanung habe ich festgestellt, dass mir wesentliche soziale Grundpfeiler fehlen und ich konnte meine Anliegen einbringen.

Wie verändert Regieren das eigene politische Denken und Handeln? Kannst du das schon abschätzen?

Als ich gewählt worden bin hat mir mein Sohn, einen WOZ-Artikel vorgelegt, der besagt, dass insbesondere SP-RegierungsrätInnen ihre politische Haltung abschwächen und zu Mainstream-Regierungsrats-Mitgliedern würden. Ob das mit mir passieren wird, kann ich nicht abschätzen – ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass mir der Kontakt zur Basis der SP Thurgau helfen wird, dieser Entwicklung entgegen zu halten. 

Geschickt im Regierungsrat zu agieren ist eine Gratwanderung. Man soll sich einbringen, Haltungen vertreten, jedoch will man sich mit zu viel Opposition nicht den Respekt der Kolleginnen und Kollegen verspielen. Eine gute Balance zu finden ist eine Herausforderung und dabei lasse ich mich gerne auch mal von meinem Bauchgefühl leiten. 

Damit kannst du auf jeden Fall auf die Unterstützung der SP Thurgau zählen.

Ich finde sehr wichtig, dass ich diese Unterstützung habe, auch als Spiegel. In so einer Position muss man auch hören, was die eigenen Leute sagen – auch wenn man es in dem Moment vielleicht nicht gerne hört.
Diesen Austausch mit der SP Thurgau finde ich wichtig und ich wünsche ihn mir auch.
Ich glaube, auch ein Regierungsrat tut gut daran, mit seiner Parteileitung eine gute Zusammenarbeit, auch was die Themen betrifft, zu pflegen. Natürlich diskutiere ich keine einzelnen Geschäfte mit der Parteileitung, es geht um strategische Fragen und es geht um das gemeinsame Ziel, das wir verfolgen: den Thurgau sozialer auszurichten. Dieses Ziel können wir nur erreichen, wenn wir am gleichen Strick ziehen – also eng miteinander verbunden sind.

Du bist kulturell ja sehr interessiert. Bleibt dir noch Zeit für Freizeit oder musst du im persönlichen Rahmen zurückstecken?

Ja das muss ich. Das wusste ich aber auch. Nur wusste ich natürlich nicht, wie sich das in der Realität anfühlt.
Unter der Woche bleibt nicht mehr viel Freizeit. Ich brauche morgens meine Zeit, bin im Moment um 7 Uhr im Büro und gehe im Normalfall um 19 Uhr wieder nach Hause. Oftmals kommt es aber vor, dass ich Abendtermine wahrnehmen soll und somit werden die Tage schon eher lang.
Ich achte aber darauf, dass ich an den Wochenenden Zeit habe; für meine Familie und Freunde, für mich, meine Hobbys und dass ich dadurch meinen Ausgleich und inneren Frieden finde.
Ich empfinde es als Privileg, diesen Job machen zu dürfen, so dass ich die langen Tage auch gerne in Kauf nehme.

Schön zu hören, dass du diese Aufgabe so gerne und mit so viel Begeisterung erfüllst.
Nun zu meiner obligaten Abschlussfrage: Wie siehst du es mit der Überwindung des Kapitalismus?

Ich gehörte zu den Kritikerinnen der „Kapitalismusdiskussion“, aber das wäre jetzt eine abendfüllende Diskussion.
Ich bin davon überzeugt, dass wir die Wirtschaft brauchen und dass sie unser Motor ist. Bezüglich der Philosophie der  Unternehmen habe ich klare Erwartungen. Auch wenn unsere KMU‘s in einem Spannungsfeld von Konkurrenz und Wirtschaftlichkeit stehen, haben sie eine soziale Verantwortung zu übernehmen. Die soziale Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern, aber auch gegenüber der Gesellschaft müsste wieder mehr gelebt werden. Kapital und Rendite kann nicht deren alleiniges, oberstes Ziel sein. Ich bin nicht für die Überwindung des Kapitalismus, aber für eine Kapitalwirtschaft, die sozialwirtschaftlich und ökologisch ausgerichtet ist.

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