Karikatur: Igor Kravarik, Kolumne: Ruedi Buzek
Bei den kommenden Nationalratswahlen stehen sich im Thurgau drei Blöcke gegenüber. Am rechten Rand hat sich die rückwärtsgewandte SVP mit der EDU zusammengeschlossen und auf der fortschrittlichen Seite haben sich die Grünen mit der SP zusammengeschlossen. Bei diesen beiden Blöcken weiss man wenigstens, wen man wählt. Alle Kandidatinnen oder Kandidaten haben ein klar erkennbares Profil und werden ihre Wähler in Bern entsprechend vertreten. Der ganze Rest tummelt sich in der Mitte.
Da finden wir im gleichen Bett vereint die liberale FDP mit der katholischen CVP; die von der SVP abgespaltene BDP mit der neu gegründeten Grünliberalen Partei und auch die freikirchliche EVP hat da ihre Heimat gefunden. Das ist wie eine „Blackbox“. Wenn ein Wähler oder eine Wählerin eine dieser Listen einwirft oder auch nur einer diesen Kandidaten oder Kandidatinnen auf seiner List panaschiert, könnte er gerade so gut zu Hause bleiben. Er oder sie weiss nicht, wen er gewählt hat. Wie das?
Der Thurgau hat Anspruch auf 6 Sitze im Nationalrat. Eine Liste oder eben eine Listenverbindung erhält direkt einen Sitz zugesprochen, wenn sie 14.3 % (ein Siebtel) der Listenstimmen auf sich vereint. So ergatterte bei den letzten Wahlen die damalige Listenverbindung von GLP/BDP/EVP/EDU mit 16.6 % Listenstimmen einen Sitz. Die GLP mit 5.2 % der Stimmen bekam den Sitz. Die BDP in der gleichen Listenverbindung mit 5.0 % ging leer aus und die allein kandidierende FdP mit 11.2 % der Stimmen ging ebenfalls leer aus. Die CVP erreichte mit 14.4 % genau einen Sitz, die SP zusammen mit den Grünen ebenfalls einen Sitz. Die SVP mit 38.7 % der Wählerstimmen errang zwei Sitze direkt und zudem das Restmandat, da sie am meisten Reststimmen auf sich vereinigte.
Wenn nicht gewaltige Verschiebungen stattfinden, dürfte die Blackbox genug Stimmen erhalten, um zwei Sitze zu beanspruchen. Damit dürfte je ein Sitz an die CVP und an die FDP gehen. Vermutlich zu Lasten der GLP (im gleichen Bündnis!) oder – bei einem Zulegen der GLP – zu Lasten der SVP. Schlussfolgerung: Jeder Wähler, jede Wählerin der EVP, der BDP oder vermutlich auch der GLP hilft damit der FDP ihren Sitz zurückzuerobern.
Als optimistischer SP Wähler träume ich natürlich auch von einem anderen Szenario. Viele Wählerinnen und Wähler überlegen sich gut, welche Liste oder welche Namen sie auf ihre Liste schreiben (Jeder Name ist eine Listenstimme!). Sie gehen davon aus, dass die SVP und der Bürgerblock mit je zwei Nationalräten und zudem noch mit beiden Ständeräten in Bern eigentlich sehr gut vertreten sind. Fortschrittliche Wählerinnen und Wähler, die letztes Mal GLP, EVP oder BDP gewählt haben, legen die Listen der Grünen, der SP ein. Wenn einige Wählerprozente mehr auf die fortschrittliche Seite wechseln, könnten wieder eine SP Nationalrätin und ein(e) grüne(r) Nationalrat(in) den Thurgau in Bern zusammen vertreten. Träumen ist erlaubt.
Ruedi Buzek, Präsident SP Thurgau 1990 – 1996