Profiteure?

Solidarität in Zeiten der Krise und danach? Eine Replik.
von Kantonsrätin Barbara Müller

Hermann Lei weist in seinem Beitrag vom 11. April 2020 treffend auf Solidarität, Freiheit, Sicherheit hin. Was jedoch die ebenda erwähnten Profiteure der Krise anbelangt, so können diese Aussagen nicht unerwidert aufgenommen werden.

Die ganze Schweiz, wenn nicht die ganze Welt, sollte sich nun solidarisch mit den Angehörigen der sogenannten Risikogruppe zeigen, damit diesen möglichst keine negativen gesundheitlichen Folgen erwachsen.

Ein durchaus hehres Ziel, heisst dies doch nichtsdestoweniger, dass sich alle Bewohner unseres Landes bewusst sind, wie verletzlich die angesprochenen Menschen sind und dass deren Leben erhaltenswert sei und geschützt werden müsse. Nun gehören zu der eben angesprochenen Gruppe nicht nur Personen ab 65 Jahren, sondern auch chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung, die bekanntlich in jeder Altergruppe zu finden sind.

Ebenso bekannt sein dürfte, dass chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung in vielfältigster Art mit der Invalidenversicherung zu tun haben, solange sie im erwerbsfähigen Alter sind. Einer Erwerbstätigkeit nachzugehen ist ein oft geäusserter Wunsch von Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderung, ob dies ihr Gesundheitszustand zulässt, darüber lässt sich vortrefflich streiten, wie es in den vergangenen Jahren seit Beginn der unsäglichen Hetzkampagne von wegen Scheininvaliden, Sozialschmarotzern und arbeitsscheuem Gesindel oft genug der Fall war. Wird allenfalls Betroffenen nach jahrelangem Streiten und extrem aufwändigen Abklärungen eine IV-Teilrente oder IV-Vollrente zugesprochen, werden viele von Ergänzungsleistungen abhängig, da adaptierte Arbeitsplätze wirklich Mangelware sind.

Ganz zu schweigen vom Heer der Bezüger von Sozialhilfeleistungen, sind diese doch oft zu krank um zu arbeiten, aber von der IV derart gesund deklariert worden, dass sie keine Rente zugesprochen erhalten. Auch die letzte Gruppe kann von angepassten Arbeitsplätzen im 1. Arbeitsmarkt oft nur träumen.

Ausgerechnet chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung, die gezwungen sind mit dem Existenzminimum zu leben (wobei die Ansätze der EL höher sind als jene der Sozialhilfe) sollen nun als Profiteure der Krise bezeichnet werden und darüberhinaus zugesprochene Leistungen gekürzt werden? Wie können EL-Bezüger und Sozialhilfeempfänger denn bloss einen Nutzen aus der jetzigen Situation ziehen, mithin also profitieren bzw. einen Gewinn erzielen? Wie oben bereits dargelegt, sollen im Moment Angehörige der sogenannten Risikogruppe geschützt, deren Leben erhalten werden, um nach dem zu erwartenen Ende der Krise dann deren finanzielle Grundlagen weiter kürzen zu können?

Diese Forderung entbehrt jeglicher Empathie, zeugt von einer Menschenverachtung ohnegleichen und hinterlässt den schalen Beigeschmack, als wären Angehörige dieser Gruppe gut genug, um wieder einmal als Sündenböcke hinzuhalten beziehungsweise als müsste deren Leben geschützt werden, um sie in Nicht-Krisenzeiten wieder politisch desaströs und uneingeschränkt schikanieren zu können.

Selbst die wenigen in den 1. Arbeitsmarkt integrierten chronisch Kranken und Menschen mit Behinderung müssen nun um ihre Arbeitsplätze fürchten. Eine Entlassung würde wohl unausweichlich zu einer Anmeldung zur Rentenprüfung bei der IV folgen, wobei eine Rente strikt und gesetzeskonform nur bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Einzelnen in Frage käme. Wirtschaftliche Schwierigkeiten, wie sie bis etwa 2005 massenweise zu Rentenzusprachen führten, sind jedoch kein Grund hierfür!

Womit auch klar gesagt ist, dass eine nicht geringe Zahl der Renten die vor 2005 gesprochen wurden, kaum dem IVG entsprechen. Von verantwortungslosen Arbeitgebern wurden diese trotzdem beantragt, wie sie auch von den völlig überforderten IV-Mitarbeitern unrühmlicherweise verfügt wurden. Es kann nicht anders als hanebücherner Unsinn bezeichnet werden, dass von Seiten der Versicherten Schindluderei betrieben und IV-Renten demnach erschlichen wurden. Damals wie heute wurden alle Anträge exakt geprüft, nur die Beschlüsse lauteten aufgrund von wirtschaftlichen Gegebenheiten völlig entgegengesetzt.

Zudem kann mit den in den SKOS Richtlinien festgelegten Grundbeiträgen für die Sozialhilfe offensichtlich niemand fürstlich leben. Ganz im Gegenteil: Betroffene sind gezwungen, sich massiv einzuschränken. Der aktuell geltende Ansatz von Fr. 986.- pro Monat (ohne Miete und Krankenkasse) für Einzelpersonen lässt keine Spielräume mehr für Kürzungen zu, es sei denn Sozialhilfeempfänger missachteten Auflagen.

Leider ist in der herrschenden Situation zu erwarten, dass Inhaber von Klein- und Kleinstbetrieben ihre Existenz verlieren werden und allenfalls zu Sozialhilfeempfänger werden, da Selbständigerwerbende bekanntlich nicht gegen Arbeitslosigkeit versichert sind. Hier ist der Bund gefordert, à fonds perdu Beiträge zu sprechen, dass möglichst wenige Betriebe schliessen müssten. Es geht jedoch in keinerlei Art und Weise an, aufgrund dieser misslichen Situation von Selbständigerwerbenden, EL-Bezügern und Sozialhilfebedürftige mit einschneidenden Kürzungen zu drohen. Wie bereits erwähnt soll deren Leben auch geschützt werden, gleichzeitig wirkt es jedoch völlig absurd, um nicht zu sagen kafkaesk, ihnen anzudrohen, den Gürtel künftig enger schallen zu müssen.

Zwingend braucht es ein ausführliches Monitoring über allenfalls steigende Anträge bei der IV, der EL und bei der Sozialhilfe und kein wie bis anhin oft geduldetes Bashing hinsichtlich Menschen mit Behinderung. Allein aufgrund von solidarischen Überlegungen haben endlich faire, im Sinne von nachhaltigen, vorurteilsfreien IV-Abklärungen und objektiven IV-Gutachten, die nicht auf Machtmissbrauch basieren, durchgesetzt zu werden (entsprechende Medienberichte finden sich zu Hauf seit Ende 2019).

Erst nach einem Ende dieser angesprochenen, unsäglichen Hetzkampagne kann wirklich von einer ernstzunehmenden Solidarität gesprochen werden. Freiheit und Sicherheit gelten selbstverständlich für alle Bewohner dieses Landes und nicht ausschliesslich für die angeblichen Hüter aller Weisheiten.

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