Grossratsgeflüster vom 02. Oktober 2023

Dieses Grossratsgeflüster hätte ein ausführliches Plädoyer für die Meinungsfreiheit im öffentlichen Dienst, für inklusive Sprache und gegen den «Anti-Gender-Wokeness-Wahlkampf-Wahnsinn» der SVP werden sollen. Hätte, weil der Vorstösser erst zu Beginn der Diskussion den Rückzug der parlamentarischen Initiative «Zur Wahrung der politischen, weltanschaulichen und sprachlichen Neutralität des Staates» ankündete und sich alle anderen Fraktionssprecher:innen sowie die zuständige Regierungsrätin umsonst vorbereitet haben. Das ist ein unübliches und vor allem unbeliebtes Vorgehen, normalerweise meldet man einen Rückzug Wochen oder zumindest Tage vorher an.

Kurz zum Kontext: Die Vorstösser aus SVP-EDU-Kreisen forderten eine Verfassungsänderung, welche beinhaltet, dass eine Person, die staatliche Aufgaben wahrnimmt, an die rechtsstaatlichen Grundsätze gebunden ist (jetzt schon so festgehalten) und sich darüber hinaus politisch, weltanschaulich und sprachlich neutral verhält. In einem zweiten Absatz forderten sie weiter, dass «Er kommuniziert klar, verständlich und sachgerecht unter Verwendung der sprachlichen Standardformen.»

Damit sich nun zumindest mein geschätzter Fraktionskollege Felix Meier nicht umsonst stundenlang vorbereitet hat, sollen seine Worte hier zumindest auszugsweise festgehalten werden: «Welch ein schon beinahe poetischer Titel für diese – man ist beinahe versucht zu sagen – Mogelpackung im Kleide einer parlamentarischen Initiative. Eigentlich müsste man den zur Diskussion stehenden Vorstoss unter dem Kapitel «Ärgerliches» ablegen und sich wieder den wesentlichen Themen, Fragen und Problemen zuwenden. Doch dann kam mir wieder einmal ein Spruch meines Vaters in den Sinn: nicht ärgern – nur wundern. Und nach anfänglichem Wundern wird einiges doch klarer und der ursprüngliche «G’wunder» macht dem offensichtlichen Platz: mit ein paar sprachlichen Nebelpetarden – liberaler Rechtsstaat, christlich-abendländischer Prägung; «Identity Politics», wahrscheinlich meinten sie «Policies»; Staat, der Bürger erzieht; in diesen ungewissen Zeiten – soll verschleiert werden, dass Wahlen anstehen. Eine insofern – neidlos zugestandene – perfekt terminierte Spiegelfechterei, in der es mitnichten um «eine Präzisierung der Grundsätze» geht. Denn diese stehen klar und deutlich sowohl in der alten und neuen Bundesverfassung (alt Art. 4, neu Art. 5 BV; [Anmerkung der Verfasserin: Gemeint sind die Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns.]), als auch in der KV. Und dies so eineindeutig, dass sie weder einer Anpassung noch Ergänzung bedürfen.

Man schlägt den Sack, meint jedoch den Esel: Sie ziehen in die Schlacht gegen das von einer St. Galler Ständerätin vorgegebene Feindbild, die hinter allen Ecken lauernde Wokeness, welche in der Form der gendergerechten Sprache daherkommt (vielleicht sollten Sie sich mal den Unterschied der beiden englischen Worte sex und gender anschauen)!

Dass Sie diese programmatische Vorgabe stante pede umzusetzen versuchen – Ihr gutes Recht! Aber dass dazu ein Vorstoss von a.SR Paul Rechsteiner als ungefragter Kronzeuge herhalten muss, weil er – entgegen Ihrer Begründung den Minderheitenschutz eben gerade stärken wollte – grenzt an Rufschädigung. Wenn einer um das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in Theorie und Praxis wusste, dann Paul Rechsteiner!

[…] Dass zwei gestandene und unbestritten intelligente Juristen aus diesem Rat einerseits offene (Verfassungs-)Türen einrennen wollen – weil eigentlich alles schon existiert und abgedeckt ist – und andererseits Regelungen festschreiben wollen, die nicht umsetzbar sind oder gar in letzter Konsequenz die Eunuchisierung des GR zur Folge hätten, muss doch zu denken geben.

Habe ich etwas verpasst? Verstehe ich nicht, was gerade passiert? Habe ich nicht aufgepasst, mal wieder etwas nicht oder falsch verstanden? Oder ist es eher so, dass Ihnen, verehrte Kollegen, die verschiedenen Hüte, die Sie tragen, durcheinander gerutscht sind? Honi soit qui mal y pense – ein Schelm wer Böses dabei denkt!

Dann dieses düstere Raunen auf Seite 2 der Begründung oben: «dass neuere Entwicklungen auf Potenziale hindeuten, den Rechtsstaat für politische Zwecke zu missbrauchen». Whaaauuu, mich schaudert, schon wieder geschlafen, wieder etwas, das nur die ganz umfassend Eingeweihten wissen? Warum so ängstlich, meine Herren, nennen Sie Ross und Reiter! Aber vielleicht sind damit ja nur die zum Ende bemühten «ungewissen Zeiten» gemeint. Nun ja, Zeiten sind meistens ungewiss, das weiss doch jedes Kind. Gewiss ist hingegen, dass wir Wahlkampf-Zeiten haben, auch Zeiten, bei denen der Ausgang ungewiss ist.

Kantonsrätin Nina Schläfli, 02. Oktober 2023

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